Thema 3 - Ist glutenfreie Ernährung gesund?

3.2 Gewichtszunahme unter glutenfreier Ernährung

Zu Beginn der Behandlung deutet eine Gewichtszunahme darauf hin, dass sich die Darmschleimhaut erholt und die glutenfreie Ernährung anschlägt. Vor allem bei zuvor untergewichtigen Patienten ist das ein sehr gutes Zeichen. Im Idealfall erreicht oder hält der Betroffene sein Normalgewicht. Manche Patienten nehmen allerdings nach einiger Zeit unter glutenfreier Kost mehr zu als gewünscht und entwickeln Übergewicht. Genauso wie für übergewichtige Personen ohne Zöliakie steigt damit das Risiko für Langzeitfolgen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ 2 Diabetes

Ab wann besteht Übergewicht?

Zur ersten Einschätzung kann der Body-Mass-Index (BMI) berechnet werden, indem man den Quotient aus Gewicht und Körpergröße im Quadrat (kg/m²) nimmt. 

Hier können Sie Ihren BMI berechnen. 

Bei einem Wert zwischen 18,5 und 25 liegt das Körpergewicht in Relation zur Körpergröße im Normalbereich. Unter 18,5 ist die Person untergewichtig. Ein BMI von 25 deutet auf Übergewicht hin, aber einem Wert von 30 spricht man von krankhaftem Übergewicht (Adipositas). 

Bei der Einschätzung des BMI muss beachtet werden, dass sehr sportliche Menschen mit hohem Muskelanteil einen BMI über 25 haben können, ohne dass Übergewicht besteht. 

Neben dem BMI spielen deshalb auch noch das Fettverteilungsmuster eine Rolle: vor allem Bauchfett (viszerales oder intraabdominelles Fettgewebe), das sich zwischen den Organen in der Bauchhöhle befindet, hat ungünstige Auswirkungen auf den Stoffwechsel und erhöht deshalb das Risiko für Stoffwechselerkrankungen, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bei Frauen ist deshalb ein Taillenumfang von mehr ab 88 cm und bei Männern ab 102 cm ein erster Hinweis auf einen vermehrten Bauchfettanteil (abdominale Adipositas). 


Übermäßige Gewichtszunahme als Folge der Erkrankung: die Kompensations-Hypothese

Unser Organismus ist bis zu einem gewissen Maß in der Lage, sich auf ungünstige Umstände einzustellen und diese so gut wie möglich auszugleichen. Bei Zöliakie könnte diese Kompensation folgendermaßen funktionieren: 

Bei vielen Betroffenen ist nur ein Teil der Dünndarmschleimhaut von Zottenatrophie und eingeschränkter Nährstoffaufnahme betroffen. Die anderen, noch gesunden Abschnitte des Dünndarms können dagegen mit der Zeit die Aufnahmekapazität steigern und dadurch die eingeschränkte Funktion der von Zöliakie betroffenen Bereiche ausgleichen. Diese (Über-)Kompensation könnte erklären, warum viele Personen mit Zöliakie zum Zeitpunkt der Diagnose normalgewichtig oder sogar übergewichtig sind. Zu dieser Annahme passt auch, dass vor allem Kleinkinder mit Zöliakie im Gegensatz zu Erwachsenen und älteren Kindern eher an Gewichtsverlust und Durchfall leiden. Denn ihr Dünndarm ist im Verhältnis zum Nährstoffbedarf noch viel kürzer und hat damit eine geringere Kapazität, um die eingeschränkte Nährstoffaufnahme auszugleichen.  


Übermäßige Gewichtszunahme als Folge der Behandlung: Lebensmittelauswahl und Ernährungsgewohnheiten

Um die lebensmitteltechnologischen Eigenschaften von Gluten zu ersetzen und den Geschmack zu verbessern, wird industriell hergestellten, glutenfreien Produkten häufig mehr Fett und Zucker hinzugefügt als üblich. Dadurch erhöht sich auch der Energiegehalt glutenfreier Backwaren und anderer Fertigprodukte. Ein gelegentlicher Verzehr ist unbedenklich. Doch wenn solche glutenfreien Lebensmittel häufiger auf dem Speiseplan stehen, erhöht sich nicht nur die Aufnahme von Zucker und Fett (vor allem ungünstiger gesättigter Fettsäuren), sondern auch die Kalorienzufuhr und damit das Risiko für Übergewicht.

Das ist aber nur ein Grund, weshalb die Ernährungsgewohnheiten eine Gewichtszunahme unter glutenfreier Diät begünstigen. Aus Sorge vor verstecktem Gluten meiden einige Betroffene oft unbewusst vor allem kohlenhydratreiche Lebensmittel. Stattdessen nehmen sie mehr fettreiche Lebensmittel zu sich. Da ein Gramm Fett doppelt so viele Kalorien hat wie ein Gramm Kohlenhydrate führt das schnell zu einer übermäßigen Energieaufnahme  (Abbildung 9).

Typical food choiced of a lean perosn (levt) vs. an overweight person (right)

Abbildung 9: Typische Auswahl an Lebensmitteln einen schlanken Person (links) und einer Person mit Übergewicht (rechts) (Quelle: FocusINCD)


Hohe Kalorienzufuhr und Sättigungsgefühl vor der Diagnose

Viele Personen mit Zöliakie haben oft jahrelang oder sogar seit früher Kindheit sehr große Mengen und kalorienreiche Lebensmittel essen müssen, um sich satt zu fühlen und nicht weiter an Gewicht zu verlieren. Wenn sich die Darmschleimhaut unter der glutenfreien Diät erholt hat und die Nahrung wieder voll verwertet werden kann, ist der Verzehr dieser großen Portionen nicht mehr notwendig. Die betroffene Person hat sich aber im Lauf der Zeit an die energiereichen Portionsgrößen oder an häufige Zwischenmahlzeiten gewöhnt. Wird diese Gewohnheit beibehalten, kann sich sehr schnell Übergewicht entwickeln. 

Für manche Betroffene ist der Konsum von fett- und zuckerreichen Lebensmitteln und Snacks auch einfach ein schneller und bequemer Ausgleich zu den Einschränkungen der glutenfreien Ernährung.  

Verständlicherweise fällt es nicht leicht, diese Gewohnheiten zu ändern. Um Spätfolgen zu vermeiden ist es aber wichtig, Übergewicht am besten von vorn herein zu vermeiden beziehungsweise überflüssige Pfunde wieder loszuwerden.    


Gut zu wissen!